Einst ein Held der Landstrasse – heute ein 75-jähriger Hobbygeher
Christoph Höhne – Olympiasieger, Europameister, Weltrekordler – holte sich 1970 in Leegebruch einen weiteren Titel den eines DDR-Meisters im 50-km-Straßengehen gegen starke Konkurrenz.
Im Altkreis Oranienburg fanden am 29. April 1970 zum ersten Mal DDR-Meisterschaften statt und zwar die im Straßenlaufen und ‑gehen. Als Austragungsstätte hatte sich der Deutsche Verband für Leichtathletik der DDR (DVfL) aus vielen positiven Gründen für unseren Ort entschieden. Pünktlich um 15 Uhr begaben sich die Geher auf die 50-km-Marathondistanz, der längsten Disziplin in der Leichtathletik und zweifelsohne eine der härtesten.
Bis zum Kilometer 25 lagen die Favoriten noch alle beisammen: Christoph Höhne, Peter Selzer, Burkhard Leuschke und Winfried Skotnicki, alles Weltklasse-Geher, wechselten sich bis dahin in der Führungsarbeit einander ab. Zwischen dem 25. und 35. Kilometer erzwang dann jedoch unser Olympiasieger die frühzeitige Entscheidung. Sein Vorsprung vergrößerte sich zusehend. Selzer, der die Attacke von seinem Klubkameraden Höhne zu parieren versuchte, wurde offensichtlich Opfer des hohen Tempos, denn Leuschke verwies ihn noch klar auf den dritten Platz. „Ich habe mit einem Sieg heute nicht gerechnet. Für mich war Peter nach seinen Trainingsergebnissen klarer Favorit. Ich freue mich natürlich über meinen ersten Platz. Doch zugleich bin ich etwas enttäuscht über den dritten Platz meines Freundes Peter,“ bemerkte Christoph Höhne nach seinem großen Kampf in hervorragender Zeit von 4:06:00 Stunden mir gegenüber als seinen Sportfreund und Gesamtleiter der Veranstaltung.
Schon am 30. Mai 1965 waren Christoph Höhne und sein gleichaltriger Schwager Hans-Georg Reimann, beide vom Sportclub Dynamo Berlin und Teilnehmer an den Olympischen Sommerspielen 1964 in Tokio, bei dem von mir initiierten, organisierten und geleiteten. Nationalen 25-km-Straßenlaufen und ‑gehen „Quer durch Leegebruch“ mit dabei. Sie reisten vereinbarungsgemäß bereits am Samstagabend mit ihrem Motorroller bei mir an, um die Wettkampfstrecke kennenzulernen und übernachteten hier. Es gewann Reimann in der guten 1:54:45 Stunden und damit den Pokal der BSG Stahl Hennigsdorf vor Höhne in 1:55:50 Stunden. Nicht nur sie, die schon an vielen Veranstaltungen in der Welt teilgenommen hatten, sprachen sich sehr lobend über die Strecke, die Organisation, das begeisterte Publikum an den Straßenränder, auf dem Sportplatz (wo sich Start und Ziel befanden) und nicht zuletzt über die äußerst starke Teilnahme von Aktiven aus der ganzen Republik aus. Auch der DVfL würdigte unsere Veranstaltung, nachdem das traditionelle Straßenlaufen und ‑gehen in Berlin kurzfristig abgesagt werden musste.
Erst 14 Tage zuvor, am 16. Mai 1965, hatte Christoph Höhne beim Bahngehen in Potsdam mit 4:02:33,0 Stunden über 30 englische Meilen und mit 4:10:51,8 Stunden über 50.000 Meter (das sind 125 Stadionrunden) zwei neue Weltrekorde aufgestellt. Trotzdem ging er lieber auf der Straße, denn: „Dort ist’s abwechslungsreicher.“ Trotz aller Abwechslung, die vielleicht die Landschaft bietet, war Höhne in jeder Phase eines Rennen mit seinen Gedanken beim Wettkampf selbst.
Das ist sein Steckbrief: Geboren am 12. Februar 1941 in Borsdorf bei Leipzig, von Beruf Werkzeugmacher. 1,70 Meter groß und 63 Kilogramm schwer. Als Jugendlicher war er Mittelstreckler. Zum Gehen kam er als 17-jähriger aus lauter Neugier auf die neue Sportart. Er trainierte zunächst für sich allein in einer kleinen Gemeinschaft bei Leipzig, wurde bei seinem ersten Wettkampf Letzter, aber mit einer besseren Zeit als erwartet und kam schließlich 1958 zu einem regelmäßigen, Systematischen Training. Bei Max Weber, einem auch international bekannten ehemaligen Geher, ging Christoph Höhne in die Schule. Er lernte hier vor allem eine einwandfreie Technik, die ihn vor jeglicher Disqualifizierung bewahrte. Seit beginn seiner Laufbahn war Höhne Langstreckler unter den Gehern. Er hat eine sehr große Ausdauer, die sich vor allem auch beim berühmten 100-km-Straßengehen zwischen Lugano und Olivone am 29. Oktober 1967 zeigte. Mit 9:15:57,4 Stunden ging er eine neue Weltbestleistung, die einem Stundenmittel von 10,742 Kilometer entspricht. Andere waren nach 13 Stunden noch nicht am Ziel. Die Schweizer, die dieses Rennen nicht erst einmal erlebt hatten, staunten: Wie kann ein Mensch nur über 100 Kilometer so schnell sein.
Am 18. Oktober 1969 verbesserte er auf der Tartanbahn des Berliner Jahnstadions noch mal seinen Doppelweltrekord über 30 englische Meilen in 4:00:06 Stunden und über 50 000 Meter in 4:08:05 Stunden.
Der erste olympische Start war 1964 in Tokio. Höhne wurde auf Anhieb Sechster im 50-km-Straßengehen mit sechs Minuten Rückstand zum Sieger. 1968 gewann Christoph Höhne überlegen die Goldmedaille über 50 Kilometer bei den Olympischen Spielen in Mexiko City. Im Ziel hatte Höhne 10:03,4 Minuten Vorsprung. Man kann Ergebnisprotokolle durchforsten und Statistiken wälzen – ein Olympiasieger, der seine Gegnerschaft so hoch überragte, war eine große Seltenheit. Bei den Olympischen Spielen 1972 in München wurde er über 50 Kilometer Vierzehnter.
Viermal nahm er an Europameisterschaften teil. Europameister im 50-km-Straßengehen wurde er 1969 in Athen und 1974 in Rom, womit er seine sehr erfolgreiche aktive Zeit beendete. Von 1960 bis 1974 hatte er 21 Einsätze im Nationaltrikot, dabei in neun (9) Länderkämpfen.
Weitere persönliche Bestleistungen sind: 25 000 Meter in 1:55:39 Stunden am 17.4.1966 in Leuna; 25 000 Meter in 1:53:05,8 Stunden am 11.4.1971 in Berlin und 50 000 Meter in 3:52:52,8 Stunden am 1.5.1974 in Naumburg.
Christoph Höhne wurde nach einem Studium Sportfotograf. Das Hobby wurde zum Beruf.
Nach einer langen Pause trainiert er auch wieder eifrig und nimmt seit 2013 an Wettkämpfen teil. „Ich brauche es, mich mit anderen zu messen. Es ist nicht mein Ding, nur der Gesundheit wegen etwas zu machen. Ich bin ein ehrgeiziger Typ. Ich brauch’ eine feste Strecke und will wissen, wie schnell ich bin. Daher zog es mich als Mitglied des Triathlonvereins Fürstenwalde zurück zum Wettkampfsport. Mir fliegt aufgrund meiner früheren Karriere nichts zu. Ich muss trainieren,“ sagte er mir vor etwa zwei Jahren.
In seiner Altersklasse M70 hat er nun bereits die Rekorde des Landes Brandenburg im Gehen über 5 000 Meterm, 5 Kilometer, 10 000 Meter, 10 und 20 Kilimeter inne. Mit 74 Jahren 20 Kilometer in 2:12:21 Stunden zu gehen ist schon außergewöhnlich.
Vielleicht sehen wir Christoph Höhne mal beim Leegebrucher Straßenlauf walken.
Peter Richter
Dein Kommentar
An Diskussion beteiligen?Hinterlassen Sie uns Ihren Kommentar!